Montag, 17. Juni 2019

Eine zauberhafte, echt barocke Zauberinnen-Oper zeigt eine erst starke, dann an ihrer ersten wahren Liebe zerbrechende Frau

Fast zum Abschluss der Händelfestspiele 2019 - denn eine weitere Rarität sollte am letzten Tag der Festspiele erst noch kommen - präsentierte Wolfgang Katschner, Stammgast seit vielen Jahren und Händelpreis-Träger, mit seiner lautten compagney im Orchestergraben eine der gewaltigsten Opern Händels in einer wunderbaren Aufführung. Für selbige zeichnete Niels Badenhop verantwortlich. Einige böse Zungen könnten behaupten, er sei ein Hans Dampf in allen Gassen, doch in den Bereichen, die der Rezensent schon mehrfach kennengelernt hat, leistet Badenhop einfach großartig. Natürlich: man muss historisch genaue Inszenierungen inklusive mit Gestik des 18. Jahrhundert mögen. Aber wenn man das tut, kommt man bei der diesjährigen Alcina voll auf seine Kosten. Nicht nur die Kostüme sind vom Feinsten - und groß in ihrer Anzahl, sodass sich insbesondere auch das Aussehen der Frauen ständig ändert, sondern auch die Szenerie.

Passend zum historischen Goethe-Theater in Bad Lauchstädt mit seiner historischen Bühne mit Guckkasten-Optik entwarf Badenhop just eine solche, um unterschiedliche Szenerien zu gestalten, von der Anlandestelle des Schiffes der vermeintlich havarierten Bradamante über den anheimelnden barocken Garten der Herrscherin der Insel oder einen der offiziellen Räume im Palast von Königin und Zauberin Alcina bis hin zu ihrem stimmig düsteren, in das Feuer-Rot der Hölle getauchten Schwarze-Künste-Gemach, in dem die dann schon halb machtlose Zauberin ihre finsteren Mächte und Kreaturen anruft, erfährt der Zuschauer zahlreiche Szenerien-Wandel wie seinerzeit im barocken Theater mit eingeschobenen und ausgefahrenen bzw. heruntergeklappten Kulissen (Seitenwände, oberer Abschluss und Abschluss-Font ganz hinten) und weiß sofort, wo er sich gerade befindet.

Die Künstler tragen historisch informierte Kostüme wie aus Barockzeiten, die zudem noch farblich aufeinander abgestimmt sind. So tragen die RepräsentantInnen des Regimes der Zauberinnen-Insel (nicht immer, aber zumeist) Schwarz mit zudem figurspezifischen farblichen Einlassungen. Bei Morgana und ihrem Liebhaber Oronte ist das z.B. durchgängig so. Ihre Farbe ist ein sattes Grün und so kommt auch ihr Liebhaber, der zugleich der Heerführer von Alcinas Armee ist, eben dieses Grün. Trägt Alcina auch Schwarz, was sie nicht immer tut, da sie als Hauptfigur und Herrscherin unterschiedlich farbene Kostüme trägt, so ist ihre Signalfarbe darin eben das satte Feuerrot wie in dem oben schon beschriebenen Schwarze-Künste-Gemach mit passend feuerndem Kamin. Die echten oder vermeintlichen Herren (Bradamante, die Liebhaberin des Haupthelden Ruggiero, hat sich ja in einen Mann verkleidet) tragen die typischen ab der Taille ausfahrenden Kostüme, zumindest wenn sie in "Gala" sind, mit Schwert dazu.

Neben dem Bühnenbild und den gerade angedeuteten Kostümen samt Requisiten zeichnete Badenhop auch für die Regie und Choreografie verantwortlich, worunter nicht nur die historisch überlieferten Bewegungen der Sänger und Sängerinnen auf der Bühne gemeint sind, sondern auch die der Tänzer. Denn auch hier rekonstruiert die Aufführung die historisch korrekte Situation der Bühne des Theaters im Covent Garden, in das Händel ausweichen musste, als die rivalisierende Adelsoper (Opera of the Nobility) ihn aus seinem angestammten King's Theatre vertrieben hatte. Dort war schon das Ensemble der Pina Bausch des barocken London zuhause: das Ballett der Maria Sallé. Und Händel wäre eben nicht Händel gewesen, wäre er nicht kreativ damit umgegangen, indem er diese mit in seine Inszenierungen integriert hätte, und so gibt es in den Jahren seines erzwungenen "Exils" am Covent Garden Theatre immer wieder Tanzensemble. Auch diese, die manchmal weggekürzt werden, wurden belassen und für sie wurden von Badenhop Choregrafien für das von ihm mitbegründete Ensemble für Historische Tänze Ballet Baroque Berlin.

Das Sängerensemble ist durchweg gut bis sehr gut. Zu letzeren zählen ganz sicher die geborene Münchenerin Hanna Herfurther in der Rolle der Morgana, der Tenor Andreas Post und der spanische Bass-Bariton Elias Benito-Arranz, der den Lehrer des Titelhelden (und Begleiter seiner Geliebten Bradamante) Melisso sang. Einen satten, wohlig im Ohr liegenden Alt bietet schon seit Jahren Julia Böhme, die in Berlin und Dresden studierte und seitdem neben Dresden auch immer wieder in Halle zu erleben war. In diesem Jahr hat sie - ebenfalls mit Katschners Lautten Compagney - ihre erste Solo-CD "Seconda Donna" herausgebracht. Als Bradamante war sie rührend, ihre Darstellung und Verkleidung als Mann sehr überzeugend und es gab eigentlich nur bei der Wutarie der Bradamante "Vorrei vendicarmi" (hier von Kristina Hammarström) am Beginn des 2. Aktes einige Probleme, den nötigen langen Atem zu haben. Das sollte man nicht überbewerten. Julia Böhme zählt auf jeden Fall zu den hörenswertesten Altistinnen, die es derzeit gibt.

Eine solide Leistung bot auch die griechische Sopranistin Myrsini Margariti in der Rolle der Alcina. Für Intensiv-Festivalbesucher kommt sie zwar nicht an die Klasse von Karina Gauvin, die in ihrem Madness-Programm am zweiten Wochenende ebenfalls Alcinas Verzweiflungsarie "Ah mio cor, schernito sei" (hier von einer meisterhaften Patricia Petibon), als sie einsehen muss, dass dadurch, dass sie sich wirklich verliebt hat, ihre Kräfte schwinden, zum Besten gegeben hat. Aber Gauvin ist wirklich Weltklasse. Margariti vielleicht auf dem Weg dahin. Figürlich und von ihrer Darstellung freilich ist sie eine echte Alcina, betörend und majestätisch zugleich.

Auch die Männerrollen waren erstklassig besetzt. Die Aufführung bot ein Wiedersehen und -hören mit dem schon im Rahmen der Produktion des "Pastor fido" am ersten Wochenende der Händelfestspiele gelobten Nicholas Tamagna, einer echten Neuentdeckung für mich in diesem Festivalsommer. Als Ruggiero und in historischem Kostüm bot er ein ganz anderes Erscheinungsbild als als raumgreifender und auf das Publikum zugehender Jäger Silvio. Seine Melodieführung auch hier wieder sicher bis aufs i-Tüpfelchen - und mit bezaubernden Verzierungen und Abänderungen im a'-Teil der Arien.

Das muss überhaupt noch einmal betont und gewürdigt werden: was Katschner mit seinen Sängern im a'-Teil der Arien macht - oder sie machen lässt - und wie lange er seine Solisten ohne Orchesterbegleitung ihre figurativen Umspielungen darbieten lässt, das ist schon ganz einmalig auch im spezialisierten Alte-Musik-Markt. Wenn wir vielleicht von Erika Pluhar und ihren L'Arpeggiata-Projekten absieht. Ganz große Klasse.

Auf die beiden Männerstimmen - den Bassbariton Elias Benito-Arranz und Tenor Andreas Post wurde oben schon hingewiesen.

Eine uneingeschränkte Empfehlung!

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