Dienstag, 11. Juni 2019

Valer Sabadus und AKAMUS in Hochform beim Händelfestival in Halle: ein beeindruckendes Sängerportrait

Anders als andere war Sabadus schon immer sehr flexibel und umtriebig, hat sich nicht frühzeitig auf einen Komponisten oder eine Zeit festgelegt, sondern im Gegenteil in unterschiedlichsten Epochen, Genres und unterschiedlichsten Interpretationsarten (von klassisch bis modern bis extravagant bzw. cross over) Erfahrungen gesammelt.

Allein seine beiden sehr frühen Einspielungen mit dem Pera Ensemble über das Aufeinandertreffen türkisch-orientalischer und barocker europäischer Musik sind ein Ohrenschmaus. Seit seinem Farinelli-Programm im letzten Jahr inkl. der dazu herausgebrachten CD "Caro Gemello" hat sich der Ausnahme-Countertenor nun einem traditionellen Genre vieler Solokünstler gewidmet, das schon mehrfach, auch von Rezensenten, an ihn herangetragen wurde: nämlich den Sängerportrait. Nicht seinem eigenen, sondern einem Sänger vergangener Zeiten. Im Falle des Erstlings eine Reminiszenz an den größten und bekanntesten Kastraten seiner Zeit: Farinelli, eigentlich Carlo Broschi (1705-1782). Zwar war dies nicht ganz ein Portrait der Gesangsrollen dieses Künstlers, sondern eher ein Denkmal an sein Gesamtschaffen und seiner Verbundenheit und Freundschaft mit Metastasio, dem großen Librettisten der Zeit, aber natürlich waren auch Arien für Rollen, die Farinelli selbst gesungen hat, dabei.

Diesen Weg geht Sabadus weiter und stellt in seinem neuen Programm Arien, die zwei zu unterschiedlichen Zeiten großen Kastraten der Barockoper in die Kehlen geschrieben wurden, gegenüber oder zusammen: Arien für den auch bei Händel singenden Giovanni Carestini (1700-1760) und Arien für einen lange Jahre am Hofe und der Hofoper Friedrich des Großen in Berlin alle anderen ausstechenden Felice Salimbeni (*um 1712-1751) 

Felice Salimbeni, die Nachtigall am Hofe Friedrich des Großen, König von Preußen
Dass auch Carestini eine Berliner Phase hatte, wenngleich erst NACH dem Tod Salimbenis, ist weniger bekannt. Mit Carestini verbindet man vor allem seine Londoner Zeit u.a. bei und unter Händel, mit dem weniger bekannten Salimbeni eher Berlin und seiner Zeit als "Muse" Friedrich des Großen und seines "künstlerischen Beraters" Graf Francesco Algarottis („Algarottis Muse“ steht denn auch in griechischer Sprache unter dem Profilbild, das der Berliner Kupferstecher Georg Friedrich Schmidt 1751 von Salimbeni anfertigte). 

Adolph von Menzel: König Friedrichs II. Tafelrunde in Sanssouci (1850): Beobachtet von Friedrich II. in der Mitte, führt Voltaire (zweiter Stuhl links des Königs) ein Gespräch mit dem gegenübersitzenden Algarotti.

Mit Carestini, der freilich 1750 schon im fortgeschrittenen Alter und von seinem hellen Sopran in einen satten Alt gefallen war, konnte Friedrich dann schon weniger anfangen. Dennoch haben beide das gemacht, was von Johann-Adam Hiller in seinen "Lebensbeschreibungen berühmter Musikgelehrten und Tonkünstler neuerer Zeit" (Teil 1. Leipzig: Dyk 1784, S. 232-240) zumindest für Salimbeni überliefert ist: den Zuhörern "Thränen ausgepreßt" oder anders gesagt: tiefe Empfindungen ausgelöst. Und selbiges können Coutertenöre, wenn sie gut sind, noch um einiges besser als hohe Frauenstimmen! Und eine wie die von Valer Sabadus kann es in ganz hervorragender Weise - und tat es auch am 7.6. in der Halleschen Konzerthalle Ulrichkirche. Das passte denn auch perfekt zum Motto der diesjährigen Händelfestspiele "Empfindsam, heroisch, erhaben" (auch wenn dieses primär auf "Händels Frauen" abzielte. Einen großen Anteil am rundum gelungenen Abend, der schließlich mit stehenden Ovationen und zwei die Menge weiter "aufpeitschenden" Zugaben zu Ende ging, hatte die Berliner Akademie für Alte Musik (AKAMUS), die, von einem in Halle sehr gut bekannten Bernhard Forck geleitet, lebendig-forsch aufspielte.

Zu hören waren denn auch diverse Arien von Friedrichs Haus-und-Hof-Kapellmeister Carl Heinrich Graun (1704–1759), so aus „Alessandro e Poro“ (Berlin 1744) sowie „Misero pargoletto“ aus der Oper „Demofoonte“ (Berlin 1746). Mit letzterer hatte schon Cecilia Bartoli auf ihrem Album "Sacrificium" begeistert. Für die Carestini-Seite des "Doppelportraits" waren „Con l’ali di costanza” und „Scherza infida” (hier beide in der Interpretation durch Philippe Jaroussky) als Arien des Titelhelden der Oper „Ariodante” zu hören. (Volles Programm hier.) 

Sabadus legte wieder einmal auf die so schon makellosen, nahegenden Interpretationen durch gestandene KollegInnen von ihm noch zwei Schippen drauf bzw. setzte nahegehende i-Tüpfelchen. Danke, Valer. Und übertraf sich noch mal ganz am Ende mit seinen beiden Zugaben:

1) die inzwischen zu einer Art Kofferarie gewordene Arie des Serse aus der gleichnamigen Oper von Händel "Crude furie" - Hier seit neuestem ein Mitschnitt eines Liebhabers aus St. Petersburg (hoffen wir, dass er da bleibt!)

2) eine auch wiederum leicht bessere Version der Referenzarie von Valers jungem polnischen Kollegen Jakub Orlinski - "Vedro con mio diletto" (aus "Giustino", 1724). - in diesem Ausschnitt ab 10:02 aus Valers Petersburger Konzert vom März 2019

Ein Mitschnitt des Konzerts aus dem Münchener Prinzregententheater wird von BR Klassik am 25.06.2019 um 20:05 Uhr gesendet. Ein zweiter Mitschnitt desselben Konzerts, der vom SWR im Rahmen der Ludwigsburger Schlossfestspiele angefertigt wurde, wird am 18. Juli 2019 um 13:05 Uhr auf SWR 2 ausgestrahlt.



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