Sonntag, 8. Juli 2018

Händel-Festspiele Halle 2018 Opern 4: In einer konzertanten Aufführung bringt Christophe Rousset erstmalig die zweite Fassung des "Rinaldo" von 1731 zu Gehör und Sandrine Piau den Saal zum Toben


Händelfestspiele Halle 2018

Georg Friedrich Händel
Rinaldo HWV 7b
(2. Fassung der Wiederaufnahme 1731, 20 Jahre nach der Erstaufführung 1711)

Solisten:
Jason Bridges (Goffredo),
Sandrine Piau (Almirena),
Xavier Sabata (Rinaldo),
Christopher Lowrey (Argante),
Eve-Maud Hubeaux (Armida),
Tomislav Lavoie (Mago) u. a.

Kammerorchester Basel
Musikalische Leitung: Christophe Rousset

Erstaufführung der Fassung von 1731 nach der Hallischen Händel-Ausgabe

„Rinaldo“ ist die erste Oper, mit der Händel nach seiner Ankunft in London Leute für die italienische Oper zu begeistern sollte. Und seine bewegende und mit fulminanter Musik untermalte Geschichte um den umworbenen, aber treuen und verliebten Rasenden Ritter Roland wurde 1711 ein großer Publikumserfolg. Schon in der ersten Saison 1711 erreichte die Oper 15 Aufführungen – eine Zahl, die später nur selten erreicht wurde - und wurde in den drei folgenden Spielzeiten (1712, 1713, 1714) erneut aufgeführt. 1717 kam eine Wiederauflage, diesmal mit kleineren Bearbeitungen und einzelnen Änderungen der Stimmlagen entsprechend des zur Verfügung stehenden Personals, auf die Bühne.

20 Jahre später, 1731, kramte Händel diesen erste Erfolgsoper wieder hervor, überarbeitete sie und brachte sie in seiner zweiten Opernakademie erneut auf die Bühne.

Es ist natürlich immer ein Risiko, wenn man einen Hit wiederauflegt: einerseits gibt es noch Leute, die sich an das Original erinnern und zumeist gerade dieses mochten, andererseits ändert sich der Geschmack und verfügbare Künstler, sodass Umarbeitungen vielleicht angezeigt sind.

Auch gibt es im Original der Oper einige Akzente, die im Libretto schon zauberhaft sind, sich aber nur schwer umsetzen lassen, um so mehr, wenn man den Aufwand auch reduzieren will und nicht wie beim ersten Mal aus dem Vollen schöpft und neben Streitwagen, feuerspeienden Drachen und Flugmaschinen auch lebende Sperlinge einsetzt, um die wundervolle Arie "Augelletti, che cantate" der in den Titelhelden verliebten Almirena zu umrahmen.

Die „Urfassung“ des Rinaldo ist bis heute bekannt und einer der Dauerbrenner des Händel-Repertoires auf deutschen und internationalen Bühnen. Was – in Anbetracht der vielen richtigen Hits – natürlich auch nicht verwundert.

In Halle 2018 gab es nun die erste neuzeitliche Aufführung der zweiten, stark veränderten Wiederaufnahme von 1731 nach der Hallischen Händelausgabe, die bei Bärenreiter erscheint. Die Aufgabe, diese Referenzaufführung zu übernehmen, nahm das Kammerorchester Basel auf sich, diesmal unter einem zwar sehr bekannten, aber üblicherweise mit seinem eigenen Orchester auftretenden Christophe Rousset.

Um es gleich vorwegzunehmen: die wesentlichsten Hits des ersten Rinaldo sind alle noch da und in ihrer Gestaltung nicht wirklich verändert, auch wenn sie teilweise von anderen Handelnden in der Oper gesungen werden oder z.B. diese Handelnden nun plötzlich nicht mehr hoch, sondern tief singen usw. So wurde aus Goffredo, dem Vater der vom Titelhelden geliebten Almirena, statt eines Kastraten ein Tenor, während aus dem ursprünglichen Bass Argante (der „böse“, den Kreuzrittern gegenüberstehende König von Jerusalem) ein Altkastrat wurde. Die wunderbare Rolle der Armida, der bösen Zauberin, die dem König von Jerusalem beisteht, dann aber dem Titelhelden verfällt, wurde von Sopran zu Alt bzw. Contralto und damit deutlich nach unten transponiert, in der Aufführung in Halle von einer Mezzosopranistin gesungen.

Unter den GesangssolistInnen des Abends stach für die gesamte Händel-Halle eine Künstlerin hervor: Sopranistin Sandrine Piau, die nicht zum ersten Mal beim Händelfestival eingeladen war. Sie sang die Rolle der Almirena und verführte damit das gesamte Publikum. Von ihrer ersten Arie „Augelletti, che cantate“ (Ihr kleinen Vögelchen, die ihr singt) war oben schon die Rede, es war just die, zu der im Theater am Haymarket auch reale Vögelchen aufflogen, die sich dann im gesamten Theater verteilten und nicht wieder vertreiben ließen. Die Arie ist ein Meisterwerk, aber es bedarf auch einer Meister-Stimme, um damit das Publikum zu umschwirren und „sanfte Winde“ um deren Ohren wehen zu lassen (wie es in der Arie weiter geht). Nun: Piau kann das und wurde drum frenetisch gefeiert, wann immer sie an der Reihe war. Um einen Eindruck von Piaus einzigartiger Gesangskunst zu bekommen, höre man sie hier als Armida (nichtAlmirena) mit ihrer „Furie terribili“-Interpretation. Allein diese Arie genügt, dass man beeindruckt und erfüllt aus einer Aufführung des „Rinaldo“ geht.

Und hier singt sie noch einen weiteren „Hit“ aus Rinaldo: mit derwohl bekanntesten Klagearie „Lascia ch‘io pianga“ wendet sichAlmirena an den sie gefangen haltenden Argante, ihre verlorene Freiheit beweinen zu dürfen, um dadurch Erbarmen und ihre Freilassung zu erwirken.


Auch der den Titelhelden intonierende Xavier Sabata ist weder in der Barockszene noch in Halle ein Unbekannter. Zuletzt war er mit seinem Programm über „Bad Guys“ in der Barockoper zu hören. Definitiv gehört er zu den guten Countertenören, aber auch bei ihm gilt schon: man muss seine Art und seine Stimme mögen. Da gehen die Meinungen weit auseinander. Der Rezensent gehört nicht zur Gruppe der frenetischen Fans, aber er erkennt seine Leistungen definitiv an. Und als Rinaldo war er für meine Ohren unerwartet gut.

Kein Unbekannter ist auch der noch aufstrebende amerikanische Countenor Christopher Lowrey, der als eben jener Argante, der in der Uraufführung noch Bass war, in Halle sein Debüt gab. Kurz vor Halle war er in Göttingen in der diesjährigen Festivaloper des „Arminio“ der Titelheld. Auch sein Argante in Halle überzeugte. Zwar findet der Rezensent seine Stimme nicht wirklich eingängig, aber sie klingt selten voll, rund und kräftig.

Eine echte Überraschung war in den „Nebenrollen“ versteckt. Von der in Palermo geborenen Sopranistin Anastasia Terranova, die in „Rinaldo“ die Sirene und die Dame gab, wird man ganz sicher noch ganz viel hören. Man hat es auch schon, in einigen Stücken von Monteverdi, der „Missa di Santa Cecilia“ von Alessandro Scarlatti und anderen von Vivaldi – unter Enrico Onofri und seinem Palermoer Ensemble Antonio il Verso.

http://gfhandel.org/handel/worklist/1to42.html#HWV7b Unterschiede in den Besetzungen / Stimmlagen kurzgefasst




Auf Kreuzfahrerseite: die liebliche Almirena (Sandrine Piau) mit einem hier mal etwas bulligeren Rinaldo (Xavier Sabata) und ganz rechts Almirenas Vater Goffredo (Jason Bridges), dem Führer des Kreuzzuges



Auf Sarazenenseite: 
Christopher Lowrey als Argante, König von Jerusalem, und
Eve-Maud Hubeaux als dessen Geliebte und Zauberin - Armida, letztere im Übrigen mit einem bezaubernden "S"-Fehler


Alle Gesangssolisten, 3.v.l. der bezaubernde Bass Tomislav Lavoie als christlicher Zauberer Mago und als 2.v.r. die erwähnte Sopranistin Anastasia Terranova. In der Mitte (5.v.r.) zwar klein, doch musikalisch grandios: Christophe Rousset, im Hintergrund das Kammerorchester Basel

Bilder (c) Stiftung Händel-Haus Halle




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